Freitag, 27. September 2013

Frau reist nach Troja



Vor einiger Zeit folgte ich der freundlichen Aufforderung: „Das Schauspielensemble reist nach Troja, werden Sie Pate und reisen Sie mit!“  Dieses Schauspielensemble ist das meines geliebten Theaters mit dem komischen Namen TPT, um welches wir im vergangenen Jahr gekämpft haben und dessen Erhalt als Fünf-Sparten-Haus gelungen ist. Das Haus hat zwei Standorte in Altenburg und Gera und müsste eigentlich unter ganz besonderen Schutz gestellt werden. In Thüringen ist es das letzte Theater mit allen Sparten. Es ist sozusagen die „Volluniversität“ unter den Theatern.  Die knapp 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten eine ganz tolle Arbeit. Nun war es gelungen, ein Projekt durch die Bundeskulturstiftung fördern zu lassen. Im Ankündigungstext war zu lesen:

„In der Spielzeit 2013/2014 setzt das Schauspiel der Theater&Philharmonie Thüringen seinen Antike-Zyklus mit der Tragödie Die Frauen von Troja des Euripides fort. In diesem Werk behandelt Euripides das den trojanischen Frauen von den griechischen Angreifern zugefügte Leid bei der Einnahme ihrer kriegszerstörten Stadt…Als Warnung vor gewaltsamen, durch Fremdenfeindlichkeit und Selbstüberschätzung ausgelösten Konflikten ist die Tragödie „Die Frauen von Troja“ grundsätzlich ort- und zeitlos.
Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes kommt die Produktion als eine internationale Kooperation der TPT Theater&Philharmonie Thüringen mit dem Tiyatro Medresesi Şirince (Türkei) und dem Samos Young Artists Festival (Griechenland) auf die Bühne. Mit der gemeinsamen Arbeit von Angehörigen unterschiedlicher Kulturen und Nationen setzt diese Zusammenarbeit ein Zeichen gegen Ressentiments und für Völkerverständigung.“

Den Beginn der Zusammenführung des Ensembles in dem kleinen Ort Şirince sollte ich miterleben und begab mich aufgeregt auf die Reise. Am 11. September 2013 ging der Flug von Leipzig über München nach Izmir.
Noch kannte ich meine Mitreisenden nicht, doch Friederike Sinn erklärte mir schon am Telefon, dass sie mich sicher an meinen auffällig roten Haaren erkennen würde und dass ihr Mann Ulrich als Projektleiter am Flughafen in Izmir auf uns warten würde. Mit dabei waren zudem die fantastische achtzigjährige Rosa Grimm aus Würzburg und der ehemalige Kriminalkommissar Wolfgang Albert aus Gera. Was uns vereinte war die unendliche Liebe zum Theater und das Gefühl, selbst etwas tun zu müssen, damit Theater sein kann.

Aus dem kühlen Deutschland kommend erfuhren wir beim Landeanflug auf Izmir nicht nur, dass wir die griechische Insel Samos überflogen, sondern dass wir am Zielort mit einer Temperatur von 32 °C zu rechnen haben, 20 Grad mehr als in Deutschland.

Ulrich, exakter gesagt, Prof. Ulrich Sinn empfing uns herzlich und hatte es trotz einiger Schwierigkeiten geschafft, einen Mietwagen namens FIAT Doplo zu ergattern, mit welchem wir  an den nächsten Tagen manchen mehr oder weniger abgelegenen Ort erreichen konnten. Dass er dieses Auto mit nahezu leerem Tank übernommen hatte und froh darüber war, dass er zunächst eine abschüssige Straße zu überwinden hatte, sei nur am Rande erwähnt. Wir mussten uns sowieso daran gewöhnen, dass in diesem freundlichen Landstrich die Uhren etwas anders ticken. Und nach kurzer Fahrzeit erklärten wir Ulrich auch zum „griechischen Helden der türkischen Landschaft“, in der wir eine knappe Woche verbringen wollten. Der Professor zeigte in unterschiedlichen Lebenssituationen ein großartiges Organisationstalent und hatte offensichtlich den Reiz von Land und Leuten vollständig für sich angenommen.


Şirince empfing uns mit überwältigenden Blicken über das Land. Unser Hotel Nisanyan House lag noch oberhalb der Ortschaft, bestand aus mehreren sorgsam restaurierten griechischen Häusern, die durch Gärten und steile Wege miteinander verbunden waren. Der Gastgeber Sevan Nisanyan ist ein Schriftsteller armenischer Herkunft. Das ganze Anwesen zeigt die Liebe und Sorgfalt, die er in sein Hotel gesteckt hat. Und nach dem üblichen Begrüßungsritual wartete die nächste Überraschung auf mich. Wolfgang aus Gera und ich wurden für die Zeit unseres Aufenthaltes zu „Hausbesitzern“ eines zweistöckigen „Griechenhauses“ mit mehreren Zimmern, u.a. einem Kaminzimmer innen und einem großzügigen Sitzbereich außen, mit Blicken auf die Ortschaft aus einer die ganze obere Etage unfassenden Fensterfront und…einem gemeinsamen „Sanitärensemble“. Ich kann feststellen: Wir haben uns gut verstanden und sind heute noch miteinander in Beziehung…im sozialen Netzwerk. Unseren jeweiligen Partnern haben wir schon viel über unser türkisches Zusammenleben erzählen können.

Am Abend des 11. September gab es das erste Zusammentreffen der Paten mit den Schauspielern im Tiyatro Medresesi. Die Künstler waren bereits zwei Tage vorher angereist, hatten sich schon eingefunden in die Lebenswelt des Theaterzentrums und dabei solch praktische Dinge geregelt wie die Unterkunft in den Schlafsälen, den Zelten auf dem Dach oder den Küchendienst. Gegessen wurde gemeinsam und fröhlich lärmend. Wir tasteten uns aufeinander zu, kannten natürlich unsere Ostthüringer, hatten aber erst einmal große Probleme, Namen und Nationen aller anderen zu behalten.

Seit Oktober 2011 wird das Gelände des  Tiyatro Medresesi von einer Gruppe Theaterenthusiasten genutzt, die sich hier ihren Traum von Theater erfüllt. Das Theaterzentrum ist Gastgeber für internationale Workshops. Es entstand aus der Überlegung, einen Ort der Inspiration zu finden, welcher die Theaterarbeit beflügelt und an dem das gemeinsame Arbeiten und Leben Wirklichkeit wird. Lange wurde Geld gesammelt, dafür war man in anderen Jobs tätig. Das Grundstück an diesem bezaubernden Ort wurde erworben und ist nach wie vor im Aufbau. Über dem Gelände des Theaterzentrums befindet sich ein Mathematikzentrum, welches vom gleichen Architekten entworfen wurde und auf seine Art nach dem gleichen Modell arbeitet.
Ich würde das als „Lernen mit allen Sinnen“ bezeichnen und das an einem Ort, der große Anspannung und Entspannung zulässt, der gemeinsames Arbeiten und Rückzug gestattet, der offen ist und ohne Misstrauen und zur Gemeinsamkeit einlädt.

Fast unwirklich schön widerspiegelte sich diese Atmosphäre am Begrüßungsabend, der im kleinen Theaterbereich des Geländes stattfand. Es wurde nicht nur erzählt von diesem Ort, sondern Musik und Tanz waren Teil der Kommunikation, die man untereinander und mit den Paten aus Deutschland führte.
Celal Mordeniz ist der türkische Leiter des Theaterzentrums, sein Assistent ist Erdem. Celal ist  vor kurzer Zeit Vater geworden, sein kleine Mädchen ist überall dabei. Erdem übersetzte vom Türkischen ins Englische, in die Sprache, die die meisten Teilnehmer des Projektes recht gut verstehen.

Unser erster Abend füllte das „Fass der Eindrücke“ fast zum Überlaufen. Man war schon so weit weg von Deutschland und noch nicht einmal einen Tag auf türkischem Boden. Durch die Nacht hallten die Geräusche der Dorftiere, der Hunde, Katzen, Esel…Und um 5.45 Uhr rief der Muezzin mit beeindruckender melodischer Stimme.
In meinem breiten Alkovenbett drehte ich mich noch einmal auf die Seite, um wenig später zu neuen Taten aufzubrechen. Es sollte per Bus über 350 Kilometer nach Troja gehen. Etwas verwundert bestaunte ich das Pferd vor der Gartentür meines türkischen Domizils und stellte fest: Es war kein trojanisches Pferd. Eine Frau bestieg das Tier und ritt den kleinen Weg zur Anhöhe über dem Dorf.

Auf der Reise

Die Busreise sollte lange dauern, angekündigt waren sieben Stunden Hin- und eine ebenso lange Rückfahrt. Mit an Bord war ein Filmteam, welches die Produktion der „Frauen von Troja“ von ihrem Beginn an begleitet. Kristina und Pauline wechselten ständig die Drehorte und haben offensichtlich unzählige Stunden an Filmmaterial gesammelt, aus welchem demnächst die ersten Schnitte zu sehen sind.

Von Şirince ging es also Richtung Troja und dabei durch die Millionenstadt Izmir,der drittgrößten Stadt der Türkei, welche immer noch in die Vorstädte hineinzuwachsen scheint.

Zur Mittagspause bekamen wir wieder einmal den Einblick in die andere Herangehensweise an die alltäglichen Dinge, hier an die Bestellung des Mittagessens für einen Bus voller hungriger Menschen, die sich dem Thema Troja hingeben wollten. Erdem erwies sich nun nicht nur als Assistent für die Organisation des Schauspielprojektes, sondern auch als Reiseleiter. Und ich gestehe, ich wundere mich jetzt noch, dass nach dem Chaos bei Bestellung und Bezahlung tatsächlich jede und jeder sein Essen bekam und das in durchaus beachtlichem Tempo. Geschmeckt hat es hervorragend und zum ersten Mal prägten sich bei mir die türkischen Worte für Danke: Teşekkürle und Bitte: Lütfen ein. Ich musste trotzdem immer wieder nachfragen. Die Sprache fällt mir schwer.

Die lange Reise nach Troja wurde unterhaltsam durch die unendlichen Gesangeseinlagen unserer türkischen und griechischen Freunde. Und Quelgo und Rachelle aus Burkina Faso ließen ihr afrikanisches Temperament einfließen. Hinsichtlich des Umfangs an „Liedgut“ hatten es die Deutschen wesentlich schwerer.

Irgendwann erklang aber der Kanon
„Hejo, spann den Wagen an.
Sieh der Wind treibt Regen übers Land.
Holt die gold'nen Garben, holt die gold'nen Garben!“

Und kurze Zeit später sangen alle gemeinsam dieses einfache schöne Kinder- oder Volkslied über den ausgehenden Sommer in deutscher Sprache. Wird der Kanon auch die „Frauen von Troja“ begleiten? Wir dürfen gespannt sein.

Das Stück ist noch im Entstehen und wir durften diese frühe Wachstumszeit begleiten.
Wie wird es möglich sein, die Schauspielerinnen und Schauspieler aus den unterschiedlichen Ländern mit ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen auf der Bühne zu EINEM Stück zu vereinen, welches in Deutschland, in der Türkei und in Griechenland spielbar ist und verstanden wird. Schon die Idee ist spannend und während unserer gemeinsamen Tage spürten wir, dass das möglich ist. Das Thema der Frauen von Troja ist zeitlos. Der Krieg zerstört und der Frieden ernährt, ernährt Körper und Geist. Es mag pathetisch klingen, ist  aber so.

Auf einer so langen Busreise gab es auch Zeit für das Kennenlernen. Und mir war schon eine große Frau mit dem mir so angenehm in den Ohren klingenden Schweizer Tonfall aufgefallen. Marianne, die Malerin, lebt meist in Ulm. Als ich ihr erzählte, dass ich einen Termin in Ulm auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben habe, machten wir gleich eine gemeinsame Bekannte aus, die für die LINKEN zur Bundestagswahl antrat. Eva-Maria Glathes Positionen zur Kultur und zur Kulturpolitik sind meinen sehr ähnlich. Wir kennen uns eher „aus der Ferne“, doch Marianne Hollenstein ist eben auch Bühnen- und Kostümbildnerin und kennt  Eva-Maria von den LINKEN aus gemeinsamer Tätigkeit am Theater.

Es gibt doch wirklich feine Zufälle. Marianne hat übrigens in unendlichem Fleiß zahllose Kleidungsstücke für uns gestaltet, vom T-Shirt angefangen bis hin zu Kleidern und Jacken. Und auf allen ist zu lesen: Die Frauen von Troja, Altenburg, Gera, Istanbul, Şirince und Samos. Wir sind damit alle zu Werbeträgern für internationale Zusammenarbeit geworden, die dem Frieden und der Verständigung dient.

Doch zurück zu unserer Reise. Um 16 Uhr wurden wir in Troja erwartet.
Ulrich Sinn hatte im Begleittext zu unserer Reise schon geschrieben:
„Nichts verstellt den Blick auf die Geschichte Trojas so sehr wie der Mythos von der Vernichtung der Stadt durch einen griechischen Heereszug. Einen solchen Krieg hat es niemals gegeben! Nirgendwo kann man die Entstehung des ›Mythos Troja‹ besser erläutern als im Angesicht der vielen Schichten des Burgbergs.“

So stand unser Programm in Troja unter dem Motto „Mythos trifft Wirklichkeit“. Homer hat als „Sammler“ berühmter Gesänge seiner Zeit diese an den „berühmten Ort“ gebunden. Der Mythos von Troja hat sich über die ganze Zeit gehalten und wer kennt es nicht, dass trojanische Pferd, welchem dann die Krieger entsprangen. Der Trojaner hat es  bis in die heutige Zeit geschafft und jeder Computernutzer wünscht sich nichts weniger als einen Trojaner. Und nun steht zwar als Wahrzeichen ein großes Holzpferd in Troja, doch die Wirklichkeit war ganz anders.


Troja war eine Stadt, die Ausgrabungen zeigen mehrere Epochen städtischen Lebens und die Einblicke in die Vergangenheit sind vielfältig. Aber der „berühmte Krieg“  fand gar nicht statt.
Beim Gespräch im Halbrund des römischen Theaters in Troja benannte irgendjemand Christa Wolfs „Kassandra“. Ich verwies darauf, dass es bei dieser Figur immer auch darum ging, dass das Verschweigen und das Verbot der Wahrheit zum Erhalt von Machtstrukturen dienen. Auch hier finden wir Mythos und Wirklichkeit.

Der Abend von Troja endete am Meer in Canakkale. Wir Paten hatten unser internationales Ensemble zum Essen eingeladen und wollten uns dafür bedanken, dass wir in so kurzer Zeit so eng an ihre Arbeit herangelassen wurden. Die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler ist hart und lässt fast intime Einblicke zu. Wenn das Stück auf der Bühne zu sehen ist, darf die Härte dieser Arbeit nicht mehr zu sehen sein, die manchmal an die Grenze zur Erschöpfung führt. Theater als Mittler zwischen Menschen und Kulturen spielt auf harten Brettern und kann so viel erreichen. Ich wünschte mir, dass mancher „Vorurteiler“ das begreifen möge, auch meine Kolleginnen und Kollegen in der Politik.

Der nächste Tag führte uns nach Galipoli, dem türkischen Nationalmonument in Gedenken an die Dardanellenschlacht. Mit der Fähre setzten wir zur Halbinsel Gollipoli über, die 1915 der Schauplatz der gewaltigen Schlacht der Osmanen gegen die Alliierten im 1. Weltkrieg war. Der Ort ist für die türkische Bevölkerung Ausdruck ihres nationalen Selbstbewusstseins und gleichzeitig Stätte der Trauer. Mustafa Kemal, der spätere Staatsgründer Kemal Atatürk,  führte die Schlacht und die Halbinsel konnte nicht eingenommen werden. Doch der Boden ist getränkt mit dem Blut unzähliger Soldaten, für die es heute nach Nationen geordnete Ehrenfriedhöfe gibt. Auf einer Tafel wird darauf hingewiesen, dass all die toten Soldaten „unsere Söhne“ sind, die  nun in einem freundlichen Land begraben liegen.



Man erzählte uns, dass die türkische Nationalflagge aus dem Bild entstand, dass sich im Blut der Toten Mond und Sterne widerspiegelte. Im Gespräch wurde die Parallele zu einem  Lied deutlich, welche die griechische Schauspielerin Daphne Ioakimidou-Pataki sang. Es stammt aus dem Dorf ihrer Großmutter und in der ersten Strophe heißt es, dass sich die Sterne in den Augen des toten Soldaten spiegeln. In der zweiten Strophe wird deutlich, dass zwei Menschen sich nicht lieben dürfen, wenn sie als Griechin einen Türken begehrt. Das Lied begleitete uns in den nächsten Tagen in Workshops im Theaterzentrum und Daphnes Stimme ließ Gänsehaut aufkommen.

Unser Schauspieldirektor und Regisseur der „Frauen von Troja“ Bernhard Stengele erklärte als überzeugter Pazifist, wie schwer unter konkreten Bedingungen die Entscheidung fallen kann, keine Waffe in die Hand zu nehmen. Viele Fragen wurden aufgeworfen. Wir debattierten über Nationalbewusstsein, Fahnen und mir ging Sillys Lied „Wie lieb’ ich dies Land“ nicht aus dem Kopf. Wieder war die Frage da nach dem Bezug zur eigenen Heimat, nach dem, wofür ich sie liebe und was an ihr verwerflich ist.

Am Mittag verließ uns das kleine Filmteam und wir reisten zurück nach Şirince, sieben Stunden sollte auch diese Busfahrt dauern.

Aus Troja zurück

Der nächste Tag war ein Samstag. Im Haupthaus des Hotels gab es kein Frühstück, wir sollten den Berg hinaufsteigen, um im Cottage am Turm zu essen. Zunächst ahnungslos wohin es uns treiben sollte, stiegen wir in einem fast paradiesischen Garten die Höhe hinan, um mit einem Frühstücksplatz belohnt zu werden, den man sich schöner nicht denken kann. Dass zwei Pfauen mit insgesamt fünf Schwanzfedern den Platz betraten, sei nur am Rande erwähnt.

Der ganze Tag war der Ortschaft Şirince, dem Theaterzentrum sowie der Beobachtung und Teilnahme an den Workshops gewidmet. Zum ersten Mal hatten wir etwas Zeit, uns durch die Gassen des wunderschönen Ortes treiben zu lassen, die reifen Früchte an den Granatapfel- und Feigenbäumen nicht nur zu fotografieren, in kleinen Lokalen regionale Spezialitäten zu kosten und das eine oder andere Mitbringsel zu erhandeln. Da es mit meinem Orientierungssinn wahrhaft nicht zum Besten bestellt ist, hatte ich zahlreiche Begegnungen mit Menschen, um sie nach dem Weg zu fragen. Trotz aller Sprachschwierigkeiten gelang es, den richtigen Weg durch kleine Gässchen vorbei an Ziegenställen, vor dem Haus sitzenden älteren Damen und streunenden Katzen und Hunden zu finden. Als ich am Abend an manchem Häuschen wieder vorbeikam, grüßten wir uns wie alte Bekannte. Kurz vor dem letzten Workshop des Tages erkundete ich mit Mechthild Scobranita und Wolfgang noch einmal das Mathematikzentrum über dem Tiyatro Medresesi. Im Gespräch mit den Mathematikern luden wir einfach ein, uns zu besuchen, um bei der unterschiedlichen Arbeit „über die Schulter zu schauen“.


Der Sonntag sollte uns nach Ephesos führen. Unser „griechischer Held der türkischen Landstraße“ Ulrich stellte wieder seine universelle Einsatzfähigkeit unter Beweis. Zunächst trafen wir mit Herrn Schwaiger vom Archäologischen Institut Österreichs zusammen, der seit zehn Jahren in Ephesos arbeitet und uns nicht nur die neusten Grabungen zeigte, sondern auch noch zum exklusiven Reiseführer wurde. Fachkundig und charmant zeigte er uns die Wohnhäuser und prächtigen öffentlichen Bauten einschließlich des imposanten Artemis-Tempels. Die zweitgrößte Stadt des Orients unter römischer Kaiserzeit lässt auch heute noch staunen. Die Besucherzahl soll auf die 2-Millionen-Grenze zugehen, die „Bewirtschaftung“ ist inzwischen an eine private Firma gegeben worden, deren Mitarbeiter uns misstrauisch wegen unserer „Sonderführung“ beäugten und mehrfach nachfragten, ob wir denn auch Eintrittskarten hätten. So erreichte uns der Privatisierungsdrang öffentlicher Einrichtungen auch im antiken Ephesos. Und trotzdem war es großartig und natürlich versammelte sich unsere kleine Gruppe im antiken Theaterrund, welches einstmals 25 bis 30 Tausend Menschen Platz bot. Leider konnten uns unsere Schauspieler nicht begleiten, die Zeit war zu kurz, auch dieses Erlebnis in ihr Programm einzubauen. Ein bisschen Bedauern war da schon.
Bewundernswert war übrigens das Durchhaltevermögen der achtzigjährigen Rosa, die alle Anstrengungen durch Hitze und Weg durchhielt und sich wunderte, wenn wir sie fragten, ob sie lieber eine Pause im Schatten haben möchte.

Am Abend unseres vorletzten Tages besuchten wir natürlich wie an jedem Tag „unser Ensemble“. Inzwischen fassten wir unter diesem Begriff  nicht mehr nur  die Schauspielerinnen und Schauspieler unseres Ostthüringer Theaters. Die große Gruppe aus Deutschland, Griechenland, der Türkei und Burkina Faso war uns gleichermaßen an unser „Patenherz“ gewachsen. Im März werden alle zu uns kommen, um die gemeinsame Probearbeit für die Premiere des Stücks am 4. Mai in Altenburg aufzunehmen. Als Freunde werden wir Freunde empfangen können.

Doch der Sonntagabend stand zunächst im Zeichen von Rhythmus und Musik. Ömer Avci, der musikalische Leiter,  ließ uns erleben, wie die Musik für das Stück entsteht, die Rhythmen dramatische Spannung im Gesang aufbauen, wie Gruppen und Einzelpersonen in Gesang und Rhythmus miteinander agieren und wie die unterschiedlichen Sprachen durchaus im Stück ihren Platz finden können. Wieder war da der Kanon „Hejo, spannt den Wagen an…“ und Daphnes griechisches Lied aus dem Dorf der Großmutter. Über allem wachte der Regisseur Bernhard und ich will in diesem Text auch nicht zu viel Konkretes verraten. Die Spannung für die „Frauen von Troja“ soll wachsen.
Und natürlich muss erwähnt werden, dass Prof. Ulrich Sinn an diesem Abend wirklich seines Lehramtes waltete und als wissenschaftlicher Berater des Projekts noch einmal die Geschichte um Troja in das Licht des wirklichen Geschehens rückte. Endlich hatte geklappt, dass zum Vortrag alle technischen Fragen gelöst waren.


Der letzte Tag führte uns nach Didyma und Priene. In Didyma erwartete uns eine Tempelanlage, die zu den besterhaltenen Monumentalbauten der Antike zählt. Bis zu 25 Meter ragen die Mauern empor und gemeinsam mit Ulrich erzählten sie vom Orakel des Apollon, welches wir natürlich alle ganz individuell befragten.
Priene gilt als das „Pompeji Kleinasiens“. Die weitläufige Ruinenstätte am Hang eines Berges, auf dessen Höhe sich die Fluchtburg befand, lässt geschäftiges Leben einer Hafenstadt ahnen, von der uns der deutsche Grabungsleiter anschaulich berichtete. Von der Anhöhe, auf der sich die Stadt Priene erstreckte, öffnete sich ein weiter Blick bis  zur  griechischen Insel Samos.  Unter uns erstreckte sich das Schwemmland, welches einst als Meer unter der Stadt lag und auf welchem sich heute silberne Baumwollfelder  erstrecken.

Und wir wussten, dass wir am Abend Abschied nehmen müssen, von dieser Landschaft und von „unserem“ Ensemble.

Und im Tiyatro Medresesi hatte man an diesem Tag nicht nur am Stück und an der Ausdruckskraft der Schauspielerinnen und Schauspieler gearbeitet. Als wir nach endlos langer Debatte im Hotel über die Art und Weise der Rechnungslegung und Bezahlung unseres traumhaften Domizils leicht erschöpft ankamen, blickten wir auf die gemeinsame Festtafel. Auf dem Grill wurde für jeden Teilnehmer eine Dorade schmackhaft zubereitet, in der Küche wurden noch die letzten Tomaten und Kräuter in die Salatschüsseln geschnippelt, auf einem Servierbrett stand der berühmte Raki samt Eiswürfeln und Wasser bereit. Und dann gab es Umarmungen und Fotos und Fotos und Umarmungen. Das Filmteam war aus Istanbul wieder angereist und die beiden Frauen freuten sich auf das Wiedersehen. Am Vollmondhimmel zogen Wolken auf, die sich in der Nacht noch zum Gewitter entladen sollten. Und im Areal des Theaterzentrums nahmen wir zum Festmahl Platz. Noch beim Schreiben dieser Zeilen überläuft mich ein leichter Glücksschauer.

Dass nach diesem köstlichen Mahl noch gesungen und getanzt wurde, versteht sich vielleicht von selbst, wenn man durch meine Zeilen einen kleinen Einblick in diese knappe Septemberwoche bekommen hat. Ich saß noch lange mit Mechthild und Marianne, mit Vanessa Rose und Manuel Kressin, rauchte und kicherte mit „Prinzessin“ Rachelle Ouedraogo aus Burkina Faso, bekam von Erdem die versprochene Liste aller Teilnehmer und kämpfte mich dann mit Wolfgangs Hilfe zum Raki durch. Irgendwann gab es zu Ehren unserer Seniorin Rosa ein Ständchen. Sie hatte sich „Let it be“ gewünscht und wollte gar nicht aufhören mit dem Tanzen. Friederike Sinn  stand eher still an der Seite. Wir hatten während der Reisen viel über unser Aufwachsen und Arbeiten in Ost und West erzählt. Wolfgang hatte neben Vanessa noch viele der schönen Schauspielerinnen in sein Herz geschlossen und fachsimpelte mit Bernhard schon einmal über die Besetzung der Rollen. Die Verabschiedung dauerte fast eine Stunde und zog sich in den neuen Tag. Ein leichter Regen fiel und Wind kam auf.

Ich hatte den Eindruck, einen der schönsten Momente zu erleben und war unendlich glücklich darüber, diese Zeit erlebt zu haben. Bis kurz vor der Abfahrt zum Flughafen saß ich mit Wolfgang noch auf der kleinen Terrasse unseres Hauses. Wir waren beide regelrecht aufgewühlt.

Die „Frauen von Troja“ werden zeigen, wie sinnlos Kriege sind und dass sie unendliches Leid bringen. Euripides lässt sein Stück enden: „Wie dumm sind die Menschen, dass sie immer wieder Krieg führen, obwohl sie wissen, dass jeder Krieg für alle nur Leid bringt.“

Wir haben in einem kleinen Ausschnitt erlebt, wie schön der Frieden zwischen den Völkern ist.

Teşekkürle!
Dankeschön!
Thank you!
Efcharisto!

Mittwoch, 11. September 2013

Nachlese KulturTOUR - oder: schnell noch mal "fröbeln"

Birgit Klaubert ist seit heute in der Türkei, um als kulturpolitische Patin an der Recherchereise des Schauspielensembles vom Theater Altenburg/Gera teil zu nehmen. Bisher gab es ein Lebenszeichen per Facebook, was bedeutet, dass sie also unter Umständen diesen Blog aus der Türkei heraus mit Informationen und Eindrücken bestücken kann. Wie sich das in den vollen Zeitplan der einwöchigen Arbeitsreise einbinden lässt, wird sich zeigen müssen. Auf jeden Fall werden Birgit und ich mit vereinten Kräften die geneigte Leserschaft auf dem Laufenden halten ... :-)

Bevor es aber losgeht mit den Infos über die sicher spannende Zeit in der Türkei, möchte ich auf gar keinen Fall die Reportage des Offenen Kanal Gera vorenthalten, der uns vor gut 3 Wochen in Bad Blankenburg während unserer KulturTOUR begleitet hat.



Hoffentlich gibt es nun ganz bald viele Eindrücke aus der Türkei und vom Projekt "Die Frauen von Troja". Ich bin sehr gespannt! :-)

Liebe Grüße (besonders an dich, liebe Birgit!),
Katinka Mitteldorf

Sonntag, 8. September 2013

Kurt Schramm, Kaffee, Silly und Troja


Wer den letzten Blogeintrag gelesen hat, ist vielleicht ein bisschen verwundert gewesen, dass sich ein nicht ganz unbekannter Herr Schramm in Katinkas Text geschlichen hat, um Goethe und Schiller ein bisschen am „Sockelfuß“ zu kratzen. Kurze Zeit später gereichte es einer schlichten Tasse Kaffe samt Milchschaumkrönchen zur Ehre, eine kulturpolitische Debatte auszulösen. Eine Malerin meinte, wir sollten sie unbedingt einmal besuchen, wenn wir unter Kultur nicht nur Gerede meinen.
Machen wir, liebe Ute und nehmen an, dass du aufmerksam unsere Blogeinträge verfolgst.

Für uns ist Kultur der „Kitt“ der sozialen Gesellschaft, Kultur entsteht mit und durch Menschen, ist Genuss und Leid, ist Auseinandersetzung und Freude, Lachen und Weinen, Versuch und Irrtum, Erkenntnis und Staunen. Die Mittel, die der einzelne Mensch dazu für sich in Anspruch nimmt, mögen so vielfältig sein, wie die Menschen selbst. Kultur ist Kommunikation und deshalb für jeden wichtig. In der Sprache der Politik heißt das: Kultur ist für jeden zugänglich zu machen, ohne Schranken!

Eröffnungskonzert zum Tag des offenen Denkmals
 Am Freitag vor dem alljährlichen Tag des offenen Denkmals findet in meiner Heimatstadt Altenburg ein Eröffnungskonzert statt, welches auch mit der Verleihung des Denkmalschutzpreises und der Ehrung aktiver denkmalschützender und –pflegender Bürgerinnen und Bürger einhergeht. Und ich gestehe: Ich bin dann richtig stolz auf meine Stadt, mein Land, auf seine Menschen und ihr Engagement. Und ich stutze: Darf ich stolz sein, ich als Linke?
Seit einiger Zeit gehört zu dieser Überlegung ein Lied von Silly. „Vaterland“ heißt es. Es richtet sich gegen Waffenexporte. Anna Loos und Silly fragen: „Wie lieb’ ich so’n Land, mit Herz oder Verstand, blind oder mit Blick über den Rand?“ und selbst beim Schreiben dieser Zeilen bekomme ich Gänsehaut. Mehr möchte ich nicht dazu schreiben, empfehle aber unbedingt das dazugehörige Video.



Und Gänsehaut bekam ich auch zum Eröffnungskonzert zum Tag des offenen Denkmals 2013, als das JugendSinfonieOrchester der Musikschule des Altenburger Landkreises mit Beethovens „Ode an die Freude“ die Veranstaltung eröffnete  und im Laufe des Abends zeigte, welches Können und welche Leidenschaft in diesen ganz jungen Musikern wohnt. Gegen 23 Uhr war das Konzert zu Ende, die jüngeren Musiker waren todmüde und trotzdem glücklich, nachdem sie noch eine Zugabe präsentiert hatten.

Ihr Musikalischer Leiter Holger Runge war am frühen Morgen in die Brüderkirche, dem Ort des künstlerischen Geschehens, gekommen, hatte Stühle platziert, Notenpulte aufgebaut, danach Unterricht gegeben, ab dem Nachmittag mit dem Orchester geprobt und am Abend dieses großartige Konzert dirigiert. Zuvor hatte er die Konzertliteratur für sein Jugendorchester bearbeitet und „nebenbei“ als Pädagoge ermutigt, motiviert, korrigiert.

Die Bedingungen, unter denen Menschen wie er und seine Kolleginnen und Kollegen in den Musikschulen, den Jugendkunstschulen und den allgemeinbildenden Schulen arbeiten, werden wir im nächsten Plenum diskutieren. Ich weiß, dass deren Arbeit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann- ihre Bezahlung ist zum Teil erbärmlich. Und wenn mir dann noch erzählt wird, dass eine politische Gruppierung, deren Namen ich natürlich nicht verrate, die Musikschüler zu einem Konzert einlud und sie mit der Bemerkung begrüßte: „Spielt mal nicht so lange, das Essen soll gleich serviert werden“, hoffe ich, dass das niemals seitens einer mir nahestehenden politischen Gruppierung passieren möge.

Doch bleiben wir bei den offenen Denkmalen 2013. Der Sonntag steht unter dem Motto „Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?“
Ich finde, das ist ein sehr passendes Programm, auf dessen Spuren ich mich begeben werde. Und dann füllt sich mein Bestand an Geschichten zu den Orten wieder auf: Da nennt doch der Altenburger Denkmalpreisträger die Giebelfigur auf seinem preisgekrönten Denkmal ganz despektierlich seine „Püppi“ (orig. „Viktoria“ !). Christian Repkewitz wird einen Rundgang durch das „jüdische Altenburg“ präsentieren im Wissen darum, dass es bei uns keine jüdischen Mitbürger mehr gibt. Und für das ehernamtliche Engagement von Christian kann man derzeit sogar im Internet abstimmen. Er hat es verdient!
                                                
 Engagierte Altenburger Bürgerinnen und Bürger haben es geschafft, dass die fast vergessene  Margaretenkapelle  im fast vergessenen Martinsgässchen wieder von sich reden macht und nach Entwicklungspotentialen unserer über tausendjährigen Stadt gefragt wird.

Und da ist sie wieder, die Silly-Frage: „Wie lieb’ ich so’n Land, mit Herz oder Verstand, blind oder mit Blick über den Rand?“

Ja, ich liebe dieses Land…mit Blick über den Rand und nur so.

Ich will dann schon einmal neugierig machen auf den Blick über den Rand. Am 11. September (!) reise ich unserem Schauspielensemble nach Troja hinterher. Ich bin Patin eines Projektes, welches den „ Stoff der antiken griechischen Tragödie, die das durch den Krieg hervorgerufene Leid unzähliger Menschen zum Thema gemeinsam mit Künstlern aus der Türkei und Griechenland erarbeitet“. (Zitat aus dem offiziellen Anschreiben an mich J ). Anders formuliert heißt das: Die Tragödie „DieFrauen von Troja“ von Euripides werden die Bühnen in Altenburg, Gera, Istanbul, Sirince bei Ephesos und Samos betreten. Und unser Schauspielensemble ist dabei und ich bin eingeladen, die Vorarbeiten zu begleiten. „Wie lieb ich so’n Land!“ Wenn es offen ist, zu Völkerverständigung einlädt, seine Geschichte kritisch befragt und Schlussfolgerungen zieht. Ich bin gespannt und ungeheuer aufgeregt und freue mich unendlich. Die Kultur ist der Kitt unserer Gesellschaft, behütet die verletzbare Schicht des zivilisierten Menschlichen über dem Archaischen. Kultur ist Lernen mit allen Sinnen von allen und  für alle, überall und schrankenlos.

Bei Radio Lotte in Weimar berichte ich vom Projekt.
 Ort- und zeitlos gültig ließ Euripides sein Stück mit der Aussage enden: „Wie dumm sind die Menschen, dass sie immer wieder Krieg führen, obwohl sie wissen, dass jeder Krieg für alle nur Leid bringt.“ Das könnte sogar Herr Schramm so gesagt haben.

Ich werde von mir hören lassen!
Birgit Klaubert

Freitag, 6. September 2013

KulturTAG in Weimar: "Goethe, Schiller und Kurt Schramm ...

... sind die Größten, die wir ham. Gezeichnet: Kurt Schramm"  Das ist übrigens eine wahrlich verkürzte Fassung des kleinen Vierzeilers mit dem schönen Namen "Eigenlob", das ein gewisser [Überraschung!] Kurt Schramm erfunden haben soll. Nur, zu eben diesem Namen findet man nichts.  Guckt man aber ein wenig tiefer in die Materie, wird Mensch feststellen, dass es einer der Vierzeiler ist, die dem Kaufmann und politisch äußerst umstrittenen Poeten Arthur Schramm IRRTÜMLICH zugeschrieben worden ist. Am Ende bleibt also: wir wissen nicht, wer es wo, wann, warum und in welchem Zusammenhang gesagt hat ...  aber es ist lustig (finde ich).

Und es passt zu Weimar.

Die "Gefahr" einer Residenz - Stadt  ist immer irgendwie, dass das kulturelle Erbe der Fürsten und Herzöge (auch in weiblicher Form) zu schwer wiegt. Dass es alles vereinnahmt und somit neue kreative Impulse im Keim ersticken lässt - nicht, weil kein Potenzial vorhanden ist, sondern schlicht und ergreifend weil das liebe Geld "erblastig" verteilt wird. Um die Balance zu halten braucht es daher immer Zweierlei: Verwaltungsspitzen mit einem kulturellen Selbstverständnis, das für ein Morgen und über den Tellerrand hinaus mitdenkt und eine Bürgerschaft, die kulturelle Impulse setzt und sich mit Pauken und Trompeten Gehör verschafft - in Kurt Schramm - Manier. Bloß keine Scheu vor dem Eigenlob! Sonst würden Goethe und Schiller und Gropius und Van de Velde und Nietzsche und wie sie alle heißen vielleicht auch wirklich die Balance zum Kippen bringen.
Kultur ist in Weimar überall!

 Ich glaube, Weimar selbst ist wirklich auf einem guten Weg. Aber die Landes- und Bundespolitik, so scheint mir, hat den Dreh noch nicht so ganz raus mit dem "Balance - Halten" zwischen Goethe, Schiller und Kurt Schramm. Das gilt übrigens nicht nur für Weimar ... aber es ist vielleicht auch nicht verwunderlich, denn eine Abkehr vom Denken in Schubladen, die gegeneinander gedacht werden. ( "Hochkultur" gegen "Soziokultur"), ist schwer. Das ist menschlich.
Zum Glück gibt es aber die Enthusiasten, die Verrückten, die Lebensliebhaber, die Querdenker, die Künstler, die Kunstliebhaber und die Idealisten auf allen Ebenen, die all ihr Herzblut und ihr Engagement in den Veränderungsprozess legen. Ich muss zugeben, ich zähle mich selbst auch dazu, was eines der Dinge ist, die Birgit Klaubert und mich sehr verbinden.

Deshalb war unser erster Termin an unserem KulturTAG am vergangenen Mittwoch zusammen mit Karola Stange und Dirk Möller auch so passend: DAS Jugendtheater e.V. im Stellwerk Weimar mit Frontfrau Kathrin Schremb verkörpert alles, was ich mit der "Kurt Schramm - Bewegung" meine. Das Stellwerk ist ein Kinder- und Jugendtheater und der Inbegriff einer kulturellen Bildungseinrichtung. Hier geht es nicht darum, Kinder und Jugendliche aufzubewahren und zu bespaßen. Klar, Spaß ist auch hier wichtig. Aber eben Spaß daran, sich selbst und seine Umgebung wahr zu nehmen,  zu entdecken, mit anderen in den Austausch zu treten und sich dabei auch im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch mit Themen des Lebens auseinander zu setzen. Und ja, so auch ein eigenes kulturelles Verständnis zu entwickeln.
Klingt alles super und das ist es ja auch. Das sehen selbst die PolitikerInnen im Landtag und neuerdings auch im Bundestag so. In unzähligen Sonntagsreden wird die Wichtigkeit kultureller Bildung hervor gehoben und doch ändert sich an den Gegebenheiten nichts. In Thüringen heißt das konkret, es sind gleich zwei Ministerien auf verschiedene Art und Weise für die Einrichtungen der kulturellen Bildung zuständig. Im Sozialministerium wird es unter "sozialer Arbeit" geführt, im Kultusministerium werden Projekte und Personalstellen gefördert und bei ganz großem Glück gibt es auch noch etwas für die die, die Spielstätten vorhalten. Aber alles abhängig von vielen Faktoren, von Haushaltslagen und Richtlinien, die zumeist von Verwaltungsjuristen durchgesetzt werden. Und wenn die Kommunen noch Geld für diese freiwillige Leistung übrig haben, ist es ein Glücksfall. Daher ist natürlich die Forderung, dass kulturelle Bildung Pflichtaufgabe werden muss, mehr als verständlich! 

Bühne frei mit Kathrin Schremb

 Wir als LINKE sagen ja generell, dass Kultur Pflichtaufgabe sein muss, dass es als Staatsziel in die Verfassung gehört, weil es Grundrecht und Daseinsvorsorge gleichermaßen ist. Aber es ist eben auch nicht die Lösung, es einfach nur zu tun, ohne die Kommunen finanziell besser auszustatten. Deshalb braucht Thüringen ein Kulturfördergesetz mit transparenten und solidarischen Förderstrukturen. Projektförderungen, die nur ein Jahr Laufzeit haben und zu fast 50 Prozent aus bürokratischem Aufwand bestehen, sind nicht nur nicht nachhaltig in der Wirkung, sondern hemmen zum einen den künstlerischen Prozess und lassen zum anderen Existenzangst und Zukunftssorgen zum Alltag werden. Das kann es doch nun wirklich nicht sein. Daher müssen mehrjährige Projektförderungen zur Gewohnheit werden und man muss sich angucken,ob nicht auch ein gewisses Budget mehr Spielraum geben würde.Ich könnte jetzt weiternachen mit einer Diskussion zu instituioneller Förderung und solchen Sachen, aber das würde für heute wohl den Rahmen sprengen ...

Dass der Bund sich stärker für die Kultur einsetzen muss, sieht übrigens auch Weimars Stadtkulturdirektorin Julia Miehe so, die sich ganz kurzfristig für uns Zeit genommen hat. Frau Miehe weiß, wovon sie spricht, denn sie ist zum Glück keine reine Verwaltungsperson (nichts gegen Verwaltungsbeamte - nur vor allem in Bereichen wie z.B. Kultur, Bildung, Soziales usw. gehört m.E. eine große Portion Verständnis und auch Gefühl für die Materie dazu!). Frau Miehe ist auf Zack und im ständigen Dialog mit allen: mit KünstlerInnen, mit PolitikerInnen, mit übergeordneten Strukturen, mit anderen Städten, Regionen usw. Sie denkt groß, sie denkt voraus und scheint so verwurzelt in Weimars Kunst- und Kulturszene, dass ich mich ernsthaft frage, wann die Frau eigentlich mal schläft. ;-) Sie ist wahrlich ein Bindeglied zwischen Goethe, Schiller und Kurt Schramm, um mal beim Bild zu bleiben. Ich hoffe, sie bleibt Weimar noch sehr lange erhalten.

Neu in Weimar ist die Geschäftsstelle des Thüringer Kulturrates, auch neu ist der Geschäftsführer Jörg Dietrich, der sich ebenfalls für uns Zeit nahm und mit uns über das Selbstverständnis des Kulturrats unterhielt, der sich Vereinen beziehungsweise Verbänden der Thüringer Kulturszene zusammen setzt und demnach natürlich eine starke Lobby für die Forderungen der Kulturszene sein kann. Ich wünsche mir, dass der Kulturrat, der seit diesem Jahr auch erstmals vom Kultusministerium gefördert wird, zu einem ganz lauten Sprachrohr wird. Ich wünsche mir aber auch, dass die jeweiligen Kulturvereine, -verbände und -initiativen noch mehr Kraft und Stärke zusammen finden und nicht müde werden, ihre Erfahrungen und ihre Forderungen mit Pauken und Trompeten anzubringen. Ich weiß selbst, wie viel Arbeit das ist, aber als starke Partner in einer Interessengemeinschaft wird das sicher zu schaffen sein.

 Karola Stange, Dr. Birgit Klaubert und Dirk Möller
  

Die letzte Station des KulturTAGes in Weimar zeigte einmal mehr, dass Kultur Identität schafft. Dass Kultur Werte schafft, die eben nicht in Zahlen messbar sind. Der Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek war eine unsagbare Tragödie, aus der aber viel Positives erwachsen ist, wie uns Dr. Knoche und Dr. Weber anschaulich machen konnten. Nicht nur, dass noch während des Brandes und in den Tagen danach, Bürgerinnen und Bürger aus Weimar wie selbstverständlich sich ja auch in Gefahr begaben und alles vor den Flammen zu retten versuchten. Auch die Spendenbereitschaft für die Restaurierung der wertvollen Zeitzeugnisse ist bis heute ungebrochen. Ich finde das atemberaubend, wirklich. Und es freut mich unendlich, weil es zeigt, dass Bibliotheken und andere Kultur - und Bildungseinrichtungen eben nicht nur einfach da im Weg herumstehen, sondern für die Menschen einen Teil ihrer Lebensqualität ausmachen. Wenn das nicht der allerbeste Ansatz ist, das kulturelle Verständnis auch im politischen und verwaltungstechnischen Sinne umzusetzen, dann weiß ich's man auch nicht.
Dr. Weber erzählte uns auch sehr viel über die neu entwickelten Verfahrensweisen zur Restauration der Bücher und demnach auch über den immensen Forschungsfortschritt auf diesem Gebiet. Restaurierte Bücher in der Hand zu halten ist übrigens ein fast unbeschreibliches Gefühl, denn man sieht noch Brandrückstände, man sieht noch das Löschwasser, das sich für immer in die teils pulverisierten Seiten gebrannt hat. Ich weiß gar nicht, wie ich es anders beschreiben soll, aber ich hatte das Gefühl, einem einmaligen Moment beizuwohnen. So beeindruckend war es.
Mit Filzpantoffeln ging es dann in den rekonstruierten Rokokosaal. Das sieht man oben auf dem Bild. Nicht den Saal, aber die Filzpantoffeln. Der Saal selbst ist ehrwürdig und man kann es sich kaum vorstellen, dass dort vor knapp 10 Jahren mit einem Mal alles in Schutt und Asche lag. Ich weiß, dass Birgit damals kurz nach dem Brand das zerstörte Gebäude besichtigt hat. Ich kann nur erahnen, wie es ihr bei diesem Anblick ergangen sein muss.

Da die Zeit leider dann zu knapp wurde, konnten wir das Studienzentrum leider nicht mehr besichtigen, aber  das wäre sicher eine großartige auswärtige Sitzung des Ressort "Kultur und Jugend" der Landtagsfraktion wert. Schließlich gibt es auch Kooperationen mit Schulen, internationale Seminare, Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. Birgit und Dirk haben da schon einen Plan und ich freue mich auf eine möglichst baldige Rückkehr an diesen tollen Ort.

Ich könnte noch so viel mehr sagen, so viele Eindrücke versuchen in Worte zu fassen ... so oft war ich schon in Weimar und doch kann man es immer wieder neu entdecken. Ich entschuldige mich gleich mal bei der geneigten Leserschaft für meine sinnierende Grundhaltung, aber es gibt viel zu denken und es gibt noch mehr zu tun - auf allen Ebenen!

In diesem Sinne: möge Kurt Schramm in uns allen wohnen und Hand in Hand mit Goethe und Schiller gehen wollen!

Ein schönes Wochenende wünscht
Katinka Mitteldorf

Dienstag, 3. September 2013

KulturTAG in Weimar - Janusköpfige Vorbereitung

Noch immer sind wir mitten in der Nachbereitung der KulturTOUR, die schon wieder unglaubliche 2 Wochen her ist. Dennoch bahnt sich bereits jetzt das nächste Erlebnis an, denn morgen geht es gemeinsam mit Karola Stange und Dirk Möller nach Weimar. Dort wollen wir einen KulturTAG verbingen. Weimar ist dafür ja quasi schon von Hause aus mehr als geeignet, beherbergt es doch reiches kulturelles Erbe und neue kreative Impulse gleichermaßen. Natürlich ist Weimar durch seine Geschichte auch ein Widerspruch in sich, oder wie Birgit immer sehr treffend sagt "janusköpfig".

Ich bin mir sicher, dass wir in der Nachbereitung dieses Tages dazu auch noch einiges sagen werden. Hier kommen aber erstmal unsere Termine für morgen:

10 Uhr treffen wir uns mit DAS Jugendtheater e.V. im Stellwerk Weimar.

12 Uhr haben wir uns mit der Kulturamtsleiterin Julia Miehe verabredet.

13.15 Uhr werden wir mit dem Geschäftsführer des Thüringer Kulturrates, Herrn Jörg Dietrich, ins Gespräch kommen. Die Geschäftsstelle des Verbandes ist gerade nach Weimar gezogen und der Geschäftsführer ist auch "neu" - zwar schon seit 9 Monaten, aber endlich klappt mal ein Zusammentreffen.

14.30 Uhr empfängt uns der Leiter der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Dr. Michael Knoche.

Es wird also wahrlich ein abwechslungsreicher und spannender Tag, bei dem uns übrigens Estefania wieder begleiten wird.

Demnächst mehr ...

Liebe Grüße,
Katinka Mitteldorf