Mittwoch, 16. Oktober 2013

Birgit K. über Käte D.



Anlässlich der Umbenennung des Fraktionssitzungssaals der Linksfraktion im Thüringer Landtag würdigte Birgit Klaubert die Person Käte Duncker und zeichnete für alle Anwesenden ihren von Brüchen geprägten Lebensweg nach. 
 
(c) Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag

Dr. Birgit Klaubert:
Warum wir unseren Fraktionssitzungsraum nach Käte Duncker benennen

Käte Dunker wurde am 23. Mai 1871 im badischen Lörrach geboren. Ihr Vater, ein Kaufmann, war früh verstorben. Käte Doell, wie sie damals hieß, war erst fünfeinhalb Jahre alt und kurze Zeit später zog ihre Mutter mit ihr in das thüringische Friedrichroda. Im Sommer 1877 eröffnete Paula Doell  in der dortigen Gartenstraße 10 eine Pension, um mit deren Erträgnissen den Unterhalt für sich und ihr Kind bestreiten zu können. Käte besuchte die Volks- und Höhere Töchterschule von 1876 bis 1886. Insbesondere unter dem Einfluss ihrer Lehrerin Lina Langhans wuchs in dem jungen Mädchen der Wunsch, Lehrerin zu werden. Diesen Berufswunsch zu verwirklichen, war zu diesem Zeitpunkt nicht so einfach wie heute, er galt als eher eigenwillige Entscheidung, die sich nur gegen Widerstände durchsetzen ließ.

Käte schrieb selbst dazu: „Nach hartem Kampf mit Vormund und Familie gelang es mir, Lehrerin zu werden.“ (aus einem zusammengestellten Lebenslauf aus der Edition des Briefwechsels zwischen Käte und Hermann Dunker (1894 -1914), der 2014 im Karl Dietz Verlag Berlin herausgegeben wurde)

Nach einem Jahr an der Hauswirtschaftsschule in Gotha begann 1888 in Eisenach die Ausbildung am Lehrerinnenseminar und bereits 1890, sie war gerade 19jährig, ihre Tätigkeit als Lehrerin an der Mädchenschule in Friedrichroda.

Sie selbst urteilt über diese Zeit:
„Es herrscht in unserem Ländchen ein liberaler Ton, und die Lehrerverhältnisse gelten seit langem als sehr gut, d.h. nicht gerade was die Gehälter betrifft, aber in Bezug auf Vorbildung und Geist.“ (1)

Später, 1897, wird sie an ihren Verlobten Hermann Duncker schreiben: „Was sagst Du dazu, dass ein Schuldirektor öffentlich auftritt gegen den modernen ‚Mordspatriotismus’, wie ihn Geschichtsunterricht und Lesebuch pflegen? Gegen die  ‚herrlichen’ Kriegs- und so genannten Volkslieder, gegen den Sedanschwindel, kurz gegen all das, was man eigentlich heute ‚Pflege des Patriotismus’ nennt? Ich muss gestehen, ich war starr vor Staunen.“ (2)

Die Zeit in Thüringen, namentlich in Friedrichroda und Eisenach prägten das soziale Engagement und die sozialistisch-humanistische Überzeugung unserer Namensgeberin Käte Duncker deutlich, wenngleich sie bereits 1893 nach Leipzig wechselte. Dort hörte sie zum ersten Mal ein Referat von Clara Zetkin und kam mit der Arbeiterbewegung in Berührung. Sie unterrichtete nunmehr auch in Abendkursen des Leipziger Arbeiterbildungsvereins. Und „wegen ihrer sozialistischen Gesinnung“ verlor sie ihre Lehrerinnenstelle. Sie ging nach Hamburg und  aufgrund ihres Engagements für die großen Hafenarbeiterstreiks 1896/97 fand auch diese Anstellung ihr politisches Ende.

Im Sommer 1898 heiratete Käte den damaligen Studenten der Volkswirtschaftslehre Hermann Duncker. Von nun an war sie vorwiegend in der Erwachsenenbildung in Arbeiterbildungs-, Frauen- und Jugendkursen in Leipzig, Dresden, Stuttgart und Berlin tätig.

Die Situation im Deutschland jener Zeit gestattete es nicht, dass eine verheiratete Lehrerin, die noch dazu Mitglied der sozialdemokratischen Partei war, eine Anstellung im Schulsystem bekam. Das alles spielte sich vor dem Hintergrund dessen ab, dass die Deutsche Reichsvereinsgesetzgebung den Frauen bis 1908 politische Tätigkeit untersagte und offiziell erst ab 1908 den Frauen der Eintritt in die Sozialdemokratische Partei gestattet war.

Der Abschied von den Kindern fiel schwer, hatte doch Käte hart darum gekämpft, die Ausbildung als Lehrerin absolvieren zu dürfen.

Käte Duncker engagierte sich nun zunehmend in der proletarischen Frauenbewegung. 1899 beschäftigte sie sich mit  der Frage der Beteiligung der Frauen an der Erwerbstätigkeit und kam zum Schluss, dass sich durch die Industrialisierung die Frauenerwerbstätigkeit ausdehnen wird und es nicht darum gehen kann, die Berufstätigkeit der Frauen einzuschränken.


Es ginge vielmehr um Aufklärung und Organisation und namentlich an die Gewerkschaften gerichtet, forderte sie. „Die Gewerkschaften müssen in den Frauen sicheres Selbstvertrauen und den Stolz der Arbeit großziehen. Eine gesunde Entwicklung der Frauenarbeit wird allein erstrebt mit der Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“  (3) Diese Forderung war weder in der Sozialdemokratie noch in den Gewerkschaften unumstritten, aktuelle Bezüge gibt es auch zur heutigen Situation.

Käte Duncker rang ständig um die Wissensvermittlung und Diskussion gesellschaftlicher Themen, lud in ihre Wohnung zu Diskussionsabenden ein. Immer wieder ging es um die Schulung von Frauen und Jugendlichen, um die Bildung als Voraussetzung und Antrieb für gesellschaftliche Veränderung.

1907 ging Käte Duncker nach Stuttgart, wo sie bis 1908 an der Seite Clara Zetkins 2. Redakteurin der Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ wurde und deren Beilagen „Für unsere Kinder“ und „Für unsere Mütter und Hausfrauen“ betreute.
Ihre Ausbildung und ihre Fähigkeiten als Lehrerin und ihre Liebe zu diesem Beruf waren für diese Tätigkeit besonders nützlich.

Doch inzwischen hatte Käte selbst drei Kinder geboren, Hedwig 1899, Karl 1903 und Wolfgang 1909.
Hermann Duncker war oft im Auftrag der sozialdemokratischen Partei unterwegs, lehrte an den verschiedenen Orten Deutschlands und konnte nur wenig Stütze sein für die Familie. Käte schrieb an ihn: „Ach Alter, Du fehlst mir doch schrecklich an allen Enden. Bald möchte ich Deinen Rat, bald möchte ich Dich schimpfen,…, bald möchte ich mich bei Dir ausheulen, bald irgendetwas diskutieren. Wir sind halt doch bös verwachsen miteinander. Das ist nicht gut für Leute, die immer so lange getrennt sein sollen.“ (4)

1912 siedelte die Familie gemeinsam nach Berlin. Doch der Krieg riss die Familie wieder auseinander. Käte und Herrmann Duncker traten entschieden gegen die Kriegskredite und die Kreditbefürworter in ihrer Partei ein.

Käte Duncker koordinierte während der Kriegsjahre zusammen mit Leo Jogiches von Berlin aus die Aktivitäten der Gruppe Internationale/Spartakus für die Beendigung des Völkermordens und einschneidende gesellschaftliche Veränderungen.  Als nach der Novemberrevolution die KPD gegründet wurde, gehörten Käte und Hermann Duncker zu deren ersten Mitgliedern.

Nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurde auch Käte kurzzeitig verhaftet, danach verbarg sie sich in Leipzig, um von dort zu ihren beiden Söhnen nach Dänemark zu reisen, die bei Freunden untergekommen waren. Bis Herbst 1919 hielt sich Käte dann in Schweden auf. Die Anstrengungen während der Kriegsjahre hatten tiefe Spuren hinterlassen. Sie fühlte sich um Jahre gealtert.

Als Käte Duncker wieder nach Deutschland zurückkehrte, setzte sie große Hoffnung auf Arbeit und Auskommen in Thüringen. In Gotha-Siebleben wurde der Familie eine Wohnung zugewiesen. Doch als Käte ihre Wohnung Anfang 1920 einrichtete, putschten Kapp und Lüttwitz, marschierte die Reichswehr in Thüringen, mordeten und brandschatzten die Marburger Freicorpsbanden. Kurze Zeit später stellte die linke Gothaer Regierung ihre Tätigkeit ein. Bei dieser war Hermann als Sekretär angestellt gewesen, nun musste er sein Wanderlehrerdasein wieder aufnehmen. Die Hoffnung auf Gemeinsamkeit war dahin und die Last auf Kätes Schultern war unermesslich. Kurz vor ihrem 25. Hochzeitstag schrieb sie verzweifelt: „Meine Kräfte sind absolut am Ende, und ich leide weiß der Himmel schwer genug darunter, dass die Arbeitslast, eben das, was absolut gemacht werden muss, keinen Augenblick zum Besinnen, zur Lebensfreude, zum freundlichen Eingehen auf den anderen lässt…“ (5)

Im Spätsommer 1921 wurde Käte Duncker von ihrer Partei aufgefordert, für den Thüringer Landtag zu kandidieren.
Um ihre Kandidatur gab es Querelen, die Käte Duncker „als nicht besonders würdig“ bezeichnete und sie verzichtete zunächst auf ihr Mandat. Doch Anfang Dezember zog sie als Nachrückerin in den Thüringer Landtag ein. Sie war inzwischen 50 Jahre alt und gewissermaßen alleinstehende Mutter mit Wohnung in Gotha-Siebleben, deren Unterhaltung sich als schwierig erwiesen hatte.

Käte Duncker nahm dieses Mandat sehr ernst, bemühte sich, die Fragen des Kinderelends im Landtag zu thematisieren. Und hier erschlossen sich wieder die Prägungen ihrer Lehr- und Lehrerinnenzeit in Eisenach und Friedrichroda. Es ging ihr darum, nahrhafte Schulspeisung, Kinderkrippen und Kinderhorte einzuführen und die Volksbildung zu verbessern. Käte Duncker war begeistert vom Konzept der Maria Montessori und kümmerte sich um Fachkräfte für die pädagogische Ausbildung.
Neben dieser parlamentarischen Tätigkeit musste sie endlose zentrale und regionale Parteikonferenzen bestreiten; die Sitzungstätigkeit war anstrengend und bescherte ihr zum Teil mehrtägige Arbeitsunfähigkeit.
Und hinzu kam das weitere Arbeiten mit ihren „Weibern“ auf Frauenversammlungen im ganzen Land. Diese Veranstaltungen brauchte sie, in ihren Briefen gibt sie Auskunft über die Lebhaftigkeit der Diskussionen.

Als 1923 eine Arbeiterregierung unter Beteiligung der Kommunistischen Partei Realität wurde, hatte Käte Duncker weniger grundsätzliche Bedenken gegen diese Entwicklung, doch sie verwahrte sich gegen den „Kuhhandel“ um Ministerposten und dagegen, wie durch die Bezirksleitung der KPD Niederlagen in Siege umgedeutet wurden.
Schon unter Ausnahmegesetz im November 1923 hielt Käte Duncker ihre letzte Landtagsrede, die sinngemäß damit endet, dass die Überlegungen zum Verbot der kommunistischen Partei nicht deren Idee vernichtet werden. Kurze Zeit später wurde der Landtag aufgelöst. Für die nächste Wahlperiode  wurde Käte Duncker nicht wieder nominieret.

Knapp 30 Jahre später erinnerte sich Käte Duncker mit folgenden Worten an diese Zeit:
„Und das Schicksal wollte es, dass ich dabei war, als aus den kleinen Vaterländern um den Thüringer Wald herum das Land Thüringen geschaffen wurde- nämlich als Abgeordnete des zweiten Thüringer Landtags zwischen 1921 und 1923.“ (6)

Kätes Weg führte sie von Thüringen wieder nach Berlin, erneut nahm sie ihre Kursarbeit auf, war für die Partei tätig und geriet zunehmend in Dissens mit deren Führung. Ab 1933 kämpfte sie um die Befreiung ihres Mannes, was ihr 1935 auch gelang und entschied sich doch wieder und nun aber ein letztes Mal nach Thüringen umzusiedeln. In Friedrichroda übernahm sie die Pension ihrer Mutter, die 1929 verstorben und auf dem städtischen Friedhof in Friedrichroda beigesetzt worden war. Hier sollte auch Käte Duncker 1953 ihre letzte Ruhestätte finden und mit ihr Sohn Karl.
Ein Besuch bei diesem in den Vereinigten Staaten führte sie allerdings 1939 nach Pennsylvania und von dort an verschiedene Orte in den USA. 1941 erreichte auch Hermann Duncker über Paris ihren Aufenthaltsort.

1947 kehrte das Ehepaar nach Deutschland zurück, freiwillig und in der Hoffnung, dass sie und ihr Mann ihre letzten Jahre „in den Dienst der Demokratisierung, Sozialisierung und Humanisierung Deutschlands“ stellen können. 1952 schrieb sie an eine Freundin in den USA: „Ich habe einen langen Zeitabschnitt menschlicher Entwicklung erlebt. Ich sehe nur ein Ziel: den Sieg des Sozialismus.“ (7)

Käte Duncker starb drei Monate vor der Vollendung ihres 82. Lebensjahres am 2. Mai 1953.

Vieles könnte noch aus ihrem Leben berichtet werden und die heutige Namensgebung sollte uns alle dazu anregen, genauer den einen oder anderen Abschnitt des Lebens einer Frau zu betrachten, in welchem es so viele Berührungen zur heutigen Zeit gibt.
Ich selbst habe für diese Worte meine Dissertation wieder einmal in die Hand genommen, in der es um die Organisation von Arbeiterinnen in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie geht und in der natürlich auch Käte Duncker mit ihrer Forderung nach wahrer Gleichberechtigung der Frauen vorkommt.

Ich danke Heinz Deutschland dafür, dass er so viel Material aus seiner langen Forschungsarbeit zur Verfügung stellte und es insbesondere mit seinem Aufsatz „Lehrerin und Abgeordnete“ leichter machte, in so kurzer Zeit das Lebenswerk unserer Namensgeberin  zu beleuchten.
Mit dem heutigen Tag wird sie einen deutlich sichtbaren Platz im Thüringer Landtag der Gegenwart erhalten.

Erfurt, den 16. Oktober 2013 

Quellenangabe:
Heinz Deutschland: Lehrerin und Abgeordnete: Käte Duncker (1871-1953)
in: Mario Hesselbarth/ Eberhart Schulz/ Manfred Weißbecker (Hrsg.):
Gelebte Ideen: Sozialisten in Thüringen. Biographische Skizzen, Jena,2006, in der Reihenfolge der Zitate
(1), S. 124
(2), S. 124
(4), S. 125
(5), S. 127
(6), S. 132
(7), S. 133

Käte Duncker: Über die Beteiligung des weiblichen Geschlechts an der Erwerbstätigkeit, Hamburg, 1899, Zitat (3), S. 8

Birgit Klaubert: Das Ringen der freien Gewerkschaften Deutschlands um die Organisierung der Arbeiterinnen von 1896 bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs, Leipzig, 1986







Freitag, 27. September 2013

Frau reist nach Troja



Vor einiger Zeit folgte ich der freundlichen Aufforderung: „Das Schauspielensemble reist nach Troja, werden Sie Pate und reisen Sie mit!“  Dieses Schauspielensemble ist das meines geliebten Theaters mit dem komischen Namen TPT, um welches wir im vergangenen Jahr gekämpft haben und dessen Erhalt als Fünf-Sparten-Haus gelungen ist. Das Haus hat zwei Standorte in Altenburg und Gera und müsste eigentlich unter ganz besonderen Schutz gestellt werden. In Thüringen ist es das letzte Theater mit allen Sparten. Es ist sozusagen die „Volluniversität“ unter den Theatern.  Die knapp 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten eine ganz tolle Arbeit. Nun war es gelungen, ein Projekt durch die Bundeskulturstiftung fördern zu lassen. Im Ankündigungstext war zu lesen:

„In der Spielzeit 2013/2014 setzt das Schauspiel der Theater&Philharmonie Thüringen seinen Antike-Zyklus mit der Tragödie Die Frauen von Troja des Euripides fort. In diesem Werk behandelt Euripides das den trojanischen Frauen von den griechischen Angreifern zugefügte Leid bei der Einnahme ihrer kriegszerstörten Stadt…Als Warnung vor gewaltsamen, durch Fremdenfeindlichkeit und Selbstüberschätzung ausgelösten Konflikten ist die Tragödie „Die Frauen von Troja“ grundsätzlich ort- und zeitlos.
Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes kommt die Produktion als eine internationale Kooperation der TPT Theater&Philharmonie Thüringen mit dem Tiyatro Medresesi Şirince (Türkei) und dem Samos Young Artists Festival (Griechenland) auf die Bühne. Mit der gemeinsamen Arbeit von Angehörigen unterschiedlicher Kulturen und Nationen setzt diese Zusammenarbeit ein Zeichen gegen Ressentiments und für Völkerverständigung.“

Den Beginn der Zusammenführung des Ensembles in dem kleinen Ort Şirince sollte ich miterleben und begab mich aufgeregt auf die Reise. Am 11. September 2013 ging der Flug von Leipzig über München nach Izmir.
Noch kannte ich meine Mitreisenden nicht, doch Friederike Sinn erklärte mir schon am Telefon, dass sie mich sicher an meinen auffällig roten Haaren erkennen würde und dass ihr Mann Ulrich als Projektleiter am Flughafen in Izmir auf uns warten würde. Mit dabei waren zudem die fantastische achtzigjährige Rosa Grimm aus Würzburg und der ehemalige Kriminalkommissar Wolfgang Albert aus Gera. Was uns vereinte war die unendliche Liebe zum Theater und das Gefühl, selbst etwas tun zu müssen, damit Theater sein kann.

Aus dem kühlen Deutschland kommend erfuhren wir beim Landeanflug auf Izmir nicht nur, dass wir die griechische Insel Samos überflogen, sondern dass wir am Zielort mit einer Temperatur von 32 °C zu rechnen haben, 20 Grad mehr als in Deutschland.

Ulrich, exakter gesagt, Prof. Ulrich Sinn empfing uns herzlich und hatte es trotz einiger Schwierigkeiten geschafft, einen Mietwagen namens FIAT Doplo zu ergattern, mit welchem wir  an den nächsten Tagen manchen mehr oder weniger abgelegenen Ort erreichen konnten. Dass er dieses Auto mit nahezu leerem Tank übernommen hatte und froh darüber war, dass er zunächst eine abschüssige Straße zu überwinden hatte, sei nur am Rande erwähnt. Wir mussten uns sowieso daran gewöhnen, dass in diesem freundlichen Landstrich die Uhren etwas anders ticken. Und nach kurzer Fahrzeit erklärten wir Ulrich auch zum „griechischen Helden der türkischen Landschaft“, in der wir eine knappe Woche verbringen wollten. Der Professor zeigte in unterschiedlichen Lebenssituationen ein großartiges Organisationstalent und hatte offensichtlich den Reiz von Land und Leuten vollständig für sich angenommen.


Şirince empfing uns mit überwältigenden Blicken über das Land. Unser Hotel Nisanyan House lag noch oberhalb der Ortschaft, bestand aus mehreren sorgsam restaurierten griechischen Häusern, die durch Gärten und steile Wege miteinander verbunden waren. Der Gastgeber Sevan Nisanyan ist ein Schriftsteller armenischer Herkunft. Das ganze Anwesen zeigt die Liebe und Sorgfalt, die er in sein Hotel gesteckt hat. Und nach dem üblichen Begrüßungsritual wartete die nächste Überraschung auf mich. Wolfgang aus Gera und ich wurden für die Zeit unseres Aufenthaltes zu „Hausbesitzern“ eines zweistöckigen „Griechenhauses“ mit mehreren Zimmern, u.a. einem Kaminzimmer innen und einem großzügigen Sitzbereich außen, mit Blicken auf die Ortschaft aus einer die ganze obere Etage unfassenden Fensterfront und…einem gemeinsamen „Sanitärensemble“. Ich kann feststellen: Wir haben uns gut verstanden und sind heute noch miteinander in Beziehung…im sozialen Netzwerk. Unseren jeweiligen Partnern haben wir schon viel über unser türkisches Zusammenleben erzählen können.

Am Abend des 11. September gab es das erste Zusammentreffen der Paten mit den Schauspielern im Tiyatro Medresesi. Die Künstler waren bereits zwei Tage vorher angereist, hatten sich schon eingefunden in die Lebenswelt des Theaterzentrums und dabei solch praktische Dinge geregelt wie die Unterkunft in den Schlafsälen, den Zelten auf dem Dach oder den Küchendienst. Gegessen wurde gemeinsam und fröhlich lärmend. Wir tasteten uns aufeinander zu, kannten natürlich unsere Ostthüringer, hatten aber erst einmal große Probleme, Namen und Nationen aller anderen zu behalten.

Seit Oktober 2011 wird das Gelände des  Tiyatro Medresesi von einer Gruppe Theaterenthusiasten genutzt, die sich hier ihren Traum von Theater erfüllt. Das Theaterzentrum ist Gastgeber für internationale Workshops. Es entstand aus der Überlegung, einen Ort der Inspiration zu finden, welcher die Theaterarbeit beflügelt und an dem das gemeinsame Arbeiten und Leben Wirklichkeit wird. Lange wurde Geld gesammelt, dafür war man in anderen Jobs tätig. Das Grundstück an diesem bezaubernden Ort wurde erworben und ist nach wie vor im Aufbau. Über dem Gelände des Theaterzentrums befindet sich ein Mathematikzentrum, welches vom gleichen Architekten entworfen wurde und auf seine Art nach dem gleichen Modell arbeitet.
Ich würde das als „Lernen mit allen Sinnen“ bezeichnen und das an einem Ort, der große Anspannung und Entspannung zulässt, der gemeinsames Arbeiten und Rückzug gestattet, der offen ist und ohne Misstrauen und zur Gemeinsamkeit einlädt.

Fast unwirklich schön widerspiegelte sich diese Atmosphäre am Begrüßungsabend, der im kleinen Theaterbereich des Geländes stattfand. Es wurde nicht nur erzählt von diesem Ort, sondern Musik und Tanz waren Teil der Kommunikation, die man untereinander und mit den Paten aus Deutschland führte.
Celal Mordeniz ist der türkische Leiter des Theaterzentrums, sein Assistent ist Erdem. Celal ist  vor kurzer Zeit Vater geworden, sein kleine Mädchen ist überall dabei. Erdem übersetzte vom Türkischen ins Englische, in die Sprache, die die meisten Teilnehmer des Projektes recht gut verstehen.

Unser erster Abend füllte das „Fass der Eindrücke“ fast zum Überlaufen. Man war schon so weit weg von Deutschland und noch nicht einmal einen Tag auf türkischem Boden. Durch die Nacht hallten die Geräusche der Dorftiere, der Hunde, Katzen, Esel…Und um 5.45 Uhr rief der Muezzin mit beeindruckender melodischer Stimme.
In meinem breiten Alkovenbett drehte ich mich noch einmal auf die Seite, um wenig später zu neuen Taten aufzubrechen. Es sollte per Bus über 350 Kilometer nach Troja gehen. Etwas verwundert bestaunte ich das Pferd vor der Gartentür meines türkischen Domizils und stellte fest: Es war kein trojanisches Pferd. Eine Frau bestieg das Tier und ritt den kleinen Weg zur Anhöhe über dem Dorf.

Auf der Reise

Die Busreise sollte lange dauern, angekündigt waren sieben Stunden Hin- und eine ebenso lange Rückfahrt. Mit an Bord war ein Filmteam, welches die Produktion der „Frauen von Troja“ von ihrem Beginn an begleitet. Kristina und Pauline wechselten ständig die Drehorte und haben offensichtlich unzählige Stunden an Filmmaterial gesammelt, aus welchem demnächst die ersten Schnitte zu sehen sind.

Von Şirince ging es also Richtung Troja und dabei durch die Millionenstadt Izmir,der drittgrößten Stadt der Türkei, welche immer noch in die Vorstädte hineinzuwachsen scheint.

Zur Mittagspause bekamen wir wieder einmal den Einblick in die andere Herangehensweise an die alltäglichen Dinge, hier an die Bestellung des Mittagessens für einen Bus voller hungriger Menschen, die sich dem Thema Troja hingeben wollten. Erdem erwies sich nun nicht nur als Assistent für die Organisation des Schauspielprojektes, sondern auch als Reiseleiter. Und ich gestehe, ich wundere mich jetzt noch, dass nach dem Chaos bei Bestellung und Bezahlung tatsächlich jede und jeder sein Essen bekam und das in durchaus beachtlichem Tempo. Geschmeckt hat es hervorragend und zum ersten Mal prägten sich bei mir die türkischen Worte für Danke: Teşekkürle und Bitte: Lütfen ein. Ich musste trotzdem immer wieder nachfragen. Die Sprache fällt mir schwer.

Die lange Reise nach Troja wurde unterhaltsam durch die unendlichen Gesangeseinlagen unserer türkischen und griechischen Freunde. Und Quelgo und Rachelle aus Burkina Faso ließen ihr afrikanisches Temperament einfließen. Hinsichtlich des Umfangs an „Liedgut“ hatten es die Deutschen wesentlich schwerer.

Irgendwann erklang aber der Kanon
„Hejo, spann den Wagen an.
Sieh der Wind treibt Regen übers Land.
Holt die gold'nen Garben, holt die gold'nen Garben!“

Und kurze Zeit später sangen alle gemeinsam dieses einfache schöne Kinder- oder Volkslied über den ausgehenden Sommer in deutscher Sprache. Wird der Kanon auch die „Frauen von Troja“ begleiten? Wir dürfen gespannt sein.

Das Stück ist noch im Entstehen und wir durften diese frühe Wachstumszeit begleiten.
Wie wird es möglich sein, die Schauspielerinnen und Schauspieler aus den unterschiedlichen Ländern mit ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen auf der Bühne zu EINEM Stück zu vereinen, welches in Deutschland, in der Türkei und in Griechenland spielbar ist und verstanden wird. Schon die Idee ist spannend und während unserer gemeinsamen Tage spürten wir, dass das möglich ist. Das Thema der Frauen von Troja ist zeitlos. Der Krieg zerstört und der Frieden ernährt, ernährt Körper und Geist. Es mag pathetisch klingen, ist  aber so.

Auf einer so langen Busreise gab es auch Zeit für das Kennenlernen. Und mir war schon eine große Frau mit dem mir so angenehm in den Ohren klingenden Schweizer Tonfall aufgefallen. Marianne, die Malerin, lebt meist in Ulm. Als ich ihr erzählte, dass ich einen Termin in Ulm auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben habe, machten wir gleich eine gemeinsame Bekannte aus, die für die LINKEN zur Bundestagswahl antrat. Eva-Maria Glathes Positionen zur Kultur und zur Kulturpolitik sind meinen sehr ähnlich. Wir kennen uns eher „aus der Ferne“, doch Marianne Hollenstein ist eben auch Bühnen- und Kostümbildnerin und kennt  Eva-Maria von den LINKEN aus gemeinsamer Tätigkeit am Theater.

Es gibt doch wirklich feine Zufälle. Marianne hat übrigens in unendlichem Fleiß zahllose Kleidungsstücke für uns gestaltet, vom T-Shirt angefangen bis hin zu Kleidern und Jacken. Und auf allen ist zu lesen: Die Frauen von Troja, Altenburg, Gera, Istanbul, Şirince und Samos. Wir sind damit alle zu Werbeträgern für internationale Zusammenarbeit geworden, die dem Frieden und der Verständigung dient.

Doch zurück zu unserer Reise. Um 16 Uhr wurden wir in Troja erwartet.
Ulrich Sinn hatte im Begleittext zu unserer Reise schon geschrieben:
„Nichts verstellt den Blick auf die Geschichte Trojas so sehr wie der Mythos von der Vernichtung der Stadt durch einen griechischen Heereszug. Einen solchen Krieg hat es niemals gegeben! Nirgendwo kann man die Entstehung des ›Mythos Troja‹ besser erläutern als im Angesicht der vielen Schichten des Burgbergs.“

So stand unser Programm in Troja unter dem Motto „Mythos trifft Wirklichkeit“. Homer hat als „Sammler“ berühmter Gesänge seiner Zeit diese an den „berühmten Ort“ gebunden. Der Mythos von Troja hat sich über die ganze Zeit gehalten und wer kennt es nicht, dass trojanische Pferd, welchem dann die Krieger entsprangen. Der Trojaner hat es  bis in die heutige Zeit geschafft und jeder Computernutzer wünscht sich nichts weniger als einen Trojaner. Und nun steht zwar als Wahrzeichen ein großes Holzpferd in Troja, doch die Wirklichkeit war ganz anders.


Troja war eine Stadt, die Ausgrabungen zeigen mehrere Epochen städtischen Lebens und die Einblicke in die Vergangenheit sind vielfältig. Aber der „berühmte Krieg“  fand gar nicht statt.
Beim Gespräch im Halbrund des römischen Theaters in Troja benannte irgendjemand Christa Wolfs „Kassandra“. Ich verwies darauf, dass es bei dieser Figur immer auch darum ging, dass das Verschweigen und das Verbot der Wahrheit zum Erhalt von Machtstrukturen dienen. Auch hier finden wir Mythos und Wirklichkeit.

Der Abend von Troja endete am Meer in Canakkale. Wir Paten hatten unser internationales Ensemble zum Essen eingeladen und wollten uns dafür bedanken, dass wir in so kurzer Zeit so eng an ihre Arbeit herangelassen wurden. Die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler ist hart und lässt fast intime Einblicke zu. Wenn das Stück auf der Bühne zu sehen ist, darf die Härte dieser Arbeit nicht mehr zu sehen sein, die manchmal an die Grenze zur Erschöpfung führt. Theater als Mittler zwischen Menschen und Kulturen spielt auf harten Brettern und kann so viel erreichen. Ich wünschte mir, dass mancher „Vorurteiler“ das begreifen möge, auch meine Kolleginnen und Kollegen in der Politik.

Der nächste Tag führte uns nach Galipoli, dem türkischen Nationalmonument in Gedenken an die Dardanellenschlacht. Mit der Fähre setzten wir zur Halbinsel Gollipoli über, die 1915 der Schauplatz der gewaltigen Schlacht der Osmanen gegen die Alliierten im 1. Weltkrieg war. Der Ort ist für die türkische Bevölkerung Ausdruck ihres nationalen Selbstbewusstseins und gleichzeitig Stätte der Trauer. Mustafa Kemal, der spätere Staatsgründer Kemal Atatürk,  führte die Schlacht und die Halbinsel konnte nicht eingenommen werden. Doch der Boden ist getränkt mit dem Blut unzähliger Soldaten, für die es heute nach Nationen geordnete Ehrenfriedhöfe gibt. Auf einer Tafel wird darauf hingewiesen, dass all die toten Soldaten „unsere Söhne“ sind, die  nun in einem freundlichen Land begraben liegen.



Man erzählte uns, dass die türkische Nationalflagge aus dem Bild entstand, dass sich im Blut der Toten Mond und Sterne widerspiegelte. Im Gespräch wurde die Parallele zu einem  Lied deutlich, welche die griechische Schauspielerin Daphne Ioakimidou-Pataki sang. Es stammt aus dem Dorf ihrer Großmutter und in der ersten Strophe heißt es, dass sich die Sterne in den Augen des toten Soldaten spiegeln. In der zweiten Strophe wird deutlich, dass zwei Menschen sich nicht lieben dürfen, wenn sie als Griechin einen Türken begehrt. Das Lied begleitete uns in den nächsten Tagen in Workshops im Theaterzentrum und Daphnes Stimme ließ Gänsehaut aufkommen.

Unser Schauspieldirektor und Regisseur der „Frauen von Troja“ Bernhard Stengele erklärte als überzeugter Pazifist, wie schwer unter konkreten Bedingungen die Entscheidung fallen kann, keine Waffe in die Hand zu nehmen. Viele Fragen wurden aufgeworfen. Wir debattierten über Nationalbewusstsein, Fahnen und mir ging Sillys Lied „Wie lieb’ ich dies Land“ nicht aus dem Kopf. Wieder war die Frage da nach dem Bezug zur eigenen Heimat, nach dem, wofür ich sie liebe und was an ihr verwerflich ist.

Am Mittag verließ uns das kleine Filmteam und wir reisten zurück nach Şirince, sieben Stunden sollte auch diese Busfahrt dauern.

Aus Troja zurück

Der nächste Tag war ein Samstag. Im Haupthaus des Hotels gab es kein Frühstück, wir sollten den Berg hinaufsteigen, um im Cottage am Turm zu essen. Zunächst ahnungslos wohin es uns treiben sollte, stiegen wir in einem fast paradiesischen Garten die Höhe hinan, um mit einem Frühstücksplatz belohnt zu werden, den man sich schöner nicht denken kann. Dass zwei Pfauen mit insgesamt fünf Schwanzfedern den Platz betraten, sei nur am Rande erwähnt.

Der ganze Tag war der Ortschaft Şirince, dem Theaterzentrum sowie der Beobachtung und Teilnahme an den Workshops gewidmet. Zum ersten Mal hatten wir etwas Zeit, uns durch die Gassen des wunderschönen Ortes treiben zu lassen, die reifen Früchte an den Granatapfel- und Feigenbäumen nicht nur zu fotografieren, in kleinen Lokalen regionale Spezialitäten zu kosten und das eine oder andere Mitbringsel zu erhandeln. Da es mit meinem Orientierungssinn wahrhaft nicht zum Besten bestellt ist, hatte ich zahlreiche Begegnungen mit Menschen, um sie nach dem Weg zu fragen. Trotz aller Sprachschwierigkeiten gelang es, den richtigen Weg durch kleine Gässchen vorbei an Ziegenställen, vor dem Haus sitzenden älteren Damen und streunenden Katzen und Hunden zu finden. Als ich am Abend an manchem Häuschen wieder vorbeikam, grüßten wir uns wie alte Bekannte. Kurz vor dem letzten Workshop des Tages erkundete ich mit Mechthild Scobranita und Wolfgang noch einmal das Mathematikzentrum über dem Tiyatro Medresesi. Im Gespräch mit den Mathematikern luden wir einfach ein, uns zu besuchen, um bei der unterschiedlichen Arbeit „über die Schulter zu schauen“.


Der Sonntag sollte uns nach Ephesos führen. Unser „griechischer Held der türkischen Landstraße“ Ulrich stellte wieder seine universelle Einsatzfähigkeit unter Beweis. Zunächst trafen wir mit Herrn Schwaiger vom Archäologischen Institut Österreichs zusammen, der seit zehn Jahren in Ephesos arbeitet und uns nicht nur die neusten Grabungen zeigte, sondern auch noch zum exklusiven Reiseführer wurde. Fachkundig und charmant zeigte er uns die Wohnhäuser und prächtigen öffentlichen Bauten einschließlich des imposanten Artemis-Tempels. Die zweitgrößte Stadt des Orients unter römischer Kaiserzeit lässt auch heute noch staunen. Die Besucherzahl soll auf die 2-Millionen-Grenze zugehen, die „Bewirtschaftung“ ist inzwischen an eine private Firma gegeben worden, deren Mitarbeiter uns misstrauisch wegen unserer „Sonderführung“ beäugten und mehrfach nachfragten, ob wir denn auch Eintrittskarten hätten. So erreichte uns der Privatisierungsdrang öffentlicher Einrichtungen auch im antiken Ephesos. Und trotzdem war es großartig und natürlich versammelte sich unsere kleine Gruppe im antiken Theaterrund, welches einstmals 25 bis 30 Tausend Menschen Platz bot. Leider konnten uns unsere Schauspieler nicht begleiten, die Zeit war zu kurz, auch dieses Erlebnis in ihr Programm einzubauen. Ein bisschen Bedauern war da schon.
Bewundernswert war übrigens das Durchhaltevermögen der achtzigjährigen Rosa, die alle Anstrengungen durch Hitze und Weg durchhielt und sich wunderte, wenn wir sie fragten, ob sie lieber eine Pause im Schatten haben möchte.

Am Abend unseres vorletzten Tages besuchten wir natürlich wie an jedem Tag „unser Ensemble“. Inzwischen fassten wir unter diesem Begriff  nicht mehr nur  die Schauspielerinnen und Schauspieler unseres Ostthüringer Theaters. Die große Gruppe aus Deutschland, Griechenland, der Türkei und Burkina Faso war uns gleichermaßen an unser „Patenherz“ gewachsen. Im März werden alle zu uns kommen, um die gemeinsame Probearbeit für die Premiere des Stücks am 4. Mai in Altenburg aufzunehmen. Als Freunde werden wir Freunde empfangen können.

Doch der Sonntagabend stand zunächst im Zeichen von Rhythmus und Musik. Ömer Avci, der musikalische Leiter,  ließ uns erleben, wie die Musik für das Stück entsteht, die Rhythmen dramatische Spannung im Gesang aufbauen, wie Gruppen und Einzelpersonen in Gesang und Rhythmus miteinander agieren und wie die unterschiedlichen Sprachen durchaus im Stück ihren Platz finden können. Wieder war da der Kanon „Hejo, spannt den Wagen an…“ und Daphnes griechisches Lied aus dem Dorf der Großmutter. Über allem wachte der Regisseur Bernhard und ich will in diesem Text auch nicht zu viel Konkretes verraten. Die Spannung für die „Frauen von Troja“ soll wachsen.
Und natürlich muss erwähnt werden, dass Prof. Ulrich Sinn an diesem Abend wirklich seines Lehramtes waltete und als wissenschaftlicher Berater des Projekts noch einmal die Geschichte um Troja in das Licht des wirklichen Geschehens rückte. Endlich hatte geklappt, dass zum Vortrag alle technischen Fragen gelöst waren.


Der letzte Tag führte uns nach Didyma und Priene. In Didyma erwartete uns eine Tempelanlage, die zu den besterhaltenen Monumentalbauten der Antike zählt. Bis zu 25 Meter ragen die Mauern empor und gemeinsam mit Ulrich erzählten sie vom Orakel des Apollon, welches wir natürlich alle ganz individuell befragten.
Priene gilt als das „Pompeji Kleinasiens“. Die weitläufige Ruinenstätte am Hang eines Berges, auf dessen Höhe sich die Fluchtburg befand, lässt geschäftiges Leben einer Hafenstadt ahnen, von der uns der deutsche Grabungsleiter anschaulich berichtete. Von der Anhöhe, auf der sich die Stadt Priene erstreckte, öffnete sich ein weiter Blick bis  zur  griechischen Insel Samos.  Unter uns erstreckte sich das Schwemmland, welches einst als Meer unter der Stadt lag und auf welchem sich heute silberne Baumwollfelder  erstrecken.

Und wir wussten, dass wir am Abend Abschied nehmen müssen, von dieser Landschaft und von „unserem“ Ensemble.

Und im Tiyatro Medresesi hatte man an diesem Tag nicht nur am Stück und an der Ausdruckskraft der Schauspielerinnen und Schauspieler gearbeitet. Als wir nach endlos langer Debatte im Hotel über die Art und Weise der Rechnungslegung und Bezahlung unseres traumhaften Domizils leicht erschöpft ankamen, blickten wir auf die gemeinsame Festtafel. Auf dem Grill wurde für jeden Teilnehmer eine Dorade schmackhaft zubereitet, in der Küche wurden noch die letzten Tomaten und Kräuter in die Salatschüsseln geschnippelt, auf einem Servierbrett stand der berühmte Raki samt Eiswürfeln und Wasser bereit. Und dann gab es Umarmungen und Fotos und Fotos und Umarmungen. Das Filmteam war aus Istanbul wieder angereist und die beiden Frauen freuten sich auf das Wiedersehen. Am Vollmondhimmel zogen Wolken auf, die sich in der Nacht noch zum Gewitter entladen sollten. Und im Areal des Theaterzentrums nahmen wir zum Festmahl Platz. Noch beim Schreiben dieser Zeilen überläuft mich ein leichter Glücksschauer.

Dass nach diesem köstlichen Mahl noch gesungen und getanzt wurde, versteht sich vielleicht von selbst, wenn man durch meine Zeilen einen kleinen Einblick in diese knappe Septemberwoche bekommen hat. Ich saß noch lange mit Mechthild und Marianne, mit Vanessa Rose und Manuel Kressin, rauchte und kicherte mit „Prinzessin“ Rachelle Ouedraogo aus Burkina Faso, bekam von Erdem die versprochene Liste aller Teilnehmer und kämpfte mich dann mit Wolfgangs Hilfe zum Raki durch. Irgendwann gab es zu Ehren unserer Seniorin Rosa ein Ständchen. Sie hatte sich „Let it be“ gewünscht und wollte gar nicht aufhören mit dem Tanzen. Friederike Sinn  stand eher still an der Seite. Wir hatten während der Reisen viel über unser Aufwachsen und Arbeiten in Ost und West erzählt. Wolfgang hatte neben Vanessa noch viele der schönen Schauspielerinnen in sein Herz geschlossen und fachsimpelte mit Bernhard schon einmal über die Besetzung der Rollen. Die Verabschiedung dauerte fast eine Stunde und zog sich in den neuen Tag. Ein leichter Regen fiel und Wind kam auf.

Ich hatte den Eindruck, einen der schönsten Momente zu erleben und war unendlich glücklich darüber, diese Zeit erlebt zu haben. Bis kurz vor der Abfahrt zum Flughafen saß ich mit Wolfgang noch auf der kleinen Terrasse unseres Hauses. Wir waren beide regelrecht aufgewühlt.

Die „Frauen von Troja“ werden zeigen, wie sinnlos Kriege sind und dass sie unendliches Leid bringen. Euripides lässt sein Stück enden: „Wie dumm sind die Menschen, dass sie immer wieder Krieg führen, obwohl sie wissen, dass jeder Krieg für alle nur Leid bringt.“

Wir haben in einem kleinen Ausschnitt erlebt, wie schön der Frieden zwischen den Völkern ist.

Teşekkürle!
Dankeschön!
Thank you!
Efcharisto!